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"Gedanken eines Tierschutzhundes"

Habt Geduld!

„Nun beginnt das Leben!“ Das hörte ich Menschen sagen. Ihre Stimmen klangen fröhlich, hoffnungsvoll. Und doch konnte ich das Gesagte nicht nachvollziehen. Ich hatte doch auch vorher schon gelebt. In dreckigen Ecken, staubigen Nebenstraßen, in engen Zwingern aus rostigem Draht und Betonboden. Ich hatte ständig Angst vor schlimmen Worten, Schlägen, Tritten. Angst vor der Nacht, Angst vor dem Tag. Mein Magen war oft leer, ich fand nur Abfälle oder bekam verdorbenes Futter. Wasser trank ich aus Pfützen oder Gefäßen, die sich mit Regenwasser gefüllt hatten. Mein Körper war geschunden – von menschlicher Hand und auch von Auseinandersetzungen mit Artgenossen, die einfach nur versuchten, so wie ich zu überleben. Schmerzen hatte ich nie gezeigt. Sie wären ein Signal gewesen, dass ich schwach war. Ein leichtes Opfer für weitere Qual.

Die Menschen, die sich mir nun zuwandten, hatten sicher die besten Absichten. Sie schlugen mich nicht, sie zerrten auch nicht an mir. Sie stellten mir Futter hin, Wasser in einem sauberen Napf. Auch ein weicher Korb war vorbereitet. Nur: Ich verstand das alles nicht! Sie schauten mir zu, während ich mich wie ein Außerirdischer auf einem fremden Planten fühlte. Ein Individuum, das eine andere Sprache sprach. Auch sie verstanden mich nicht. Ich spürte, dass ich aus irgendeinem Grund ihre Erwartungen nicht zu erfüllen schien.

Es fehlte ein Dolmetscher. Jemand, der in der Lage war zu erklären, wie ich mich fühlte.

Dann hätte er ihnen gesagt, dass ich kein Leben im Haus kannte. Dass es für mich bedrohlich war, durch Türen oder schmale Durchgänge zu gehen, weil mich Menschen darin schon mit roher Gewalt eingeklemmt und vor dem Weglaufen gehindert hatten. Dass ich keinen Teppich oder Fliesen kannte, und es sich bedrohlich unter meinen Pfoten anfühlte. So, als wenn ein Mensch sich langsam über einen gefrorenen See bewegen möchte und nicht weiß, ob das Eis tragen wird: Jeder Schritt ein Wagnis.

Er hätte erklärt, dass ich Geräusche von Autos, Lastwagen und Bussen kannte, auch die des Windes und des Regens, wenn ich alleingelassen der Welt um mich herum ausgesetzt war. Das Surren eines Staubsaugers oder das Gluckern einer Kaffeemaschine hörte sich für mich fürchterlich an, konnte ich doch nicht einschätzen, ob von diesen Maschinen eine Bedrohung ausging oder der Mensch, der sie bediente, sich damit mir zuwenden könnte, um mir weh zu tun!

Wenn ich mich auf den Boden legte, irgendwo in eine Ecke, um vor den ganzen neuen Eindrücken zu fliehen, dann kamen die Menschen zu mir, redeten auf mich ein, versuchten mich zu locken. Ich machte mich ganz klein, vielleicht sahen sie mich dann nicht mehr? Aber sie hörten nicht auf zu reden. Warum ich nicht in das extra eingerichtete Körbchen gehen würde, es wäre weich und bequem? Wo war mein Dolmetscher?! Ich wollte all das nicht hören, ich wollte nicht, dass sie dauernd in meiner Nähe hockten und über mich sprachen. Ich wollte auch nicht in diesen Korb! Am liebsten wollte ich zurück in die Hölle. Weil sie meine Hölle war. Ein Ort, den ich kannte.

Nachts konnte ich nicht gut schlafen. Aber die Menschen zum Glück. Ich schlich langsam auf leisen Pfoten durch das Haus. Ich war zwar immer auf der Hut, konnte nun aber zum ersten Mal in Ruhe meine neue Umgebung erkunden. Es klang alles anders, es roch anders, es sah anders aus. Ich kam an dem Wassernapf vorbei und gönnte mir zum ersten Mal an diesem Tag etwas zu trinken. Es schmeckte gut, nicht faulig oder abgestanden. Daneben stand ein weiterer Napf mit Futter. Im Sicheren der Dunkelheit konnte ich endlich etwas fressen. Schnell, hastig, immer noch in der alten Erwartung, ein Artgenosse könnte mir das Wenige streitig machen. Irgendwann übermannte mich die Müdigkeit und ich ließ mich in einer Ecke auf den Boden fallen. Ein paar Minuten Schlaf waren sicher möglich. Ich nickte ein, um immer wieder zwischendurch hochzuschrecken und mich zu versichern, dass ich mich nicht gegen jemanden verteidigen musste.

Am nächsten Morgen war ich immer noch auf dem für mich fremden Planeten. Und sie waren wieder da: Die Menschen, die mich am Vortag schon begleitet hatten. Sie murmelten etwas von „komischem Verhalten“, waren aber auch froh, dass ich getrunken und gefressen hatte.

Ich hatte jedoch noch etwas anderes gemacht, dass ihnen augenscheinlich nicht gefiel: Meine Notdurft hatte ich irgendwo im Haus verrichtet. Wo sollte ich das denn sonst tun? Ich war es nicht anders gewohnt, als mich auf diese Art zu erleichtern. Dass dies nun in einem Haus nicht erwünscht war, dass hatte mein Dolmetscher mir nicht mitgeteilt.

Plötzlich, wie aus dem Nichts, holten die Menschen einen Strick (Leine) und versuchten mir eine Schlinge (Halsband) um den Hals zu legen. Das kannte ich und ich wusste, das bedeutete nach meiner Erfahrung nichts Gutes: Ich machte mich stocksteif, ließ mich auf den Boden fallen und war nicht bereit, ihnen auch nur einen Schritt zu folgen. Wieder redeten sie auf mich ein mit Worten, die eigentlich recht freundlich klangen. Ich ließ mich auf das Abenteuer ein und ging wenige Schritte bis zur nächsten Tür. Hier blieb ich wieder stehen: Türen bedeuteten für mich ja Gefahr! Und dann sah ich, dass diese Tür ein Ausgang war. Ich zögerte nicht eine Sekunde, schüttelte und riss an dem Strick und der Schlinge, bis ich meinen Kopf herausziehen konnte. Dann rannte ich los. Ich wusste nicht wohin, ich kannte mich nicht aus. Nichts nahm ich mehr wahr, nicht die verzweifelten Rufe der Menschen, nicht die fahrenden Autos. Ich wollte einfach nur weg.

Nachdem ich eine Weile gelaufen war, bekam ich richtige Angst. Ich kroch in einen alten Schuppen, legte mich zwischen staubige Gegenstände und hörte nur noch meinen schnellen Atem. Was nun? Plötzlich öffnete sich die Tür und bevor ich etwas denken oder tun konnte, hatten mich Hände gegriffen und ich wurde hochgehoben. „Gott sei Dank, das war knapp. Was für ein Schreck!“, hörte ich bekannte Stimmen rufen.

Und so trugen mich meine Menschen wieder ins Haus zurück. Den ganzen Tag weinten sie und sprachen miteinander. Ich tat in der Zeit einfach nichts und lag nur still und angespannt in meiner Ecke, in die ich mich zurückgezogen hatte. Trinken und Futter nahm ich wieder nachts zu mir und als ich mich erleichtern musste und einen Platz dafür suchte, wurde ich mit sanfter Gewalt in den Garten gebracht.

Der darauffolgende Morgen brachte eine böse Überraschung: Nachdem ich mich im Tageslicht vorsichtig weiter umgesehen hatte, sollte ich gebürstet werden. Die Menschen nahmen an, ich wüsste es zu schätzen, wenn sie mein verdrecktes, stinkendes Fell pflegen würden. In mir erweckte es aber nur Erinnerungen an die schlimmsten Erfahrungen: Gegen meinen Willen festgehalten werden während Hände sich an meinem Körper zu schaffen machten!

Meine Menschen waren ratlos und verzweifelt. So hatten sie sich das nicht vorgestellt! Und genau darin lag das Problem: Sie hatten schon Wünsche und Erwartungen gehabt, bevor ich eingezogen war. Ich hatte nur einen einzigen Wunsch: Dass sie verstehen, was ich wirklich brauchte.

In Gedanken verfasste mein Dolmetscher für mich folgenden Brief:

Liebe Menschen,

so sehr ihr meine Vergangenheit ausblenden möchtet oder sie gar nicht kennt: Sie ist da. Sie gehört zu mir, wie ihr auch eine habt. Ich habe es bis in die Gegenwart geschafft und wenn ihr mir eine Zukunft ermöglichen möchtet, dann brauche ich einige Dinge von euch.

Ich brauche Zeit. Zeit zum Ankommen, zum Orientieren, zum Vertrauen aufbauen. Ihr habt mich aus der Hölle geholt, aber der Himmel auf Erden, den ihr mir bereiten möchtet, ist mir noch fremd. Gebt mir Zeit und Raum, eure Regeln zu verstehen. Habt Verständnis für meine Ängste und Sorgen. Verzeiht mir Rückschritte und schaut auf das, was ich euch aus eigenen Stücken anbieten kann. Versteht, dass ich vieles einfach nicht kenne und erst lernen muss.

Erwartet nichts von mir. Tragt die Liebe und Geduld in euch, mein dreckiges Fell zu ertragen, meine Missgeschicke in der Wohnung wortlos zu beseitigen, in beängstigenden Momenten still an meiner Seite zu sein. Erkennt, dass ich Anleinen und Gassigänge nicht kenne und besonderem Schutz bedarf, wenn ich aus dem Haus gehen soll. Haltet es aus, wenn ich eure Hände erst viele Male als etwas Wunderbares, Umsorgendes erfahren muss, um euch vertrauen zu können.

Ich benötige kein Spielzeug, keine flauschigen Decken oder Designer-Betten. Gebt mir stattdessen Sicherheit und Ruhe, Struktur und Raum, ich selbst zu sein oder ich selbst zu werden.

Irgendwann brauchen wir dann keinen Dolmetscher mehr, weil wir uns wortlos verstehen und einander bedingungslos vertrauen können. Habt Geduld.

Verfasserin: Daniela O.